Der „moderne“ Adel!
Wer hat nicht schon davon geträumt, Lord zu sein, ein imposantes Wappen auf der Businesscard zu führen, für seinen Titel an der Bar andächtig gemustert zu werden?
Zu aufwändig? Zu teuer? Zu langwierig? Nein – dank Internet für jeden und jede erschwinglich! Und (meistens) erst noch legal.
Schlaumeierei ersetzt den Adel erfolgreich
Vorbei die Zeiten, als man sich für teures Geld in eine finanziell abgehalfterte Adelsfamilie einkaufen musste, um dann nach einem riesigen Papierkrieg irgendeinmal adoptiert zu werden. Vorbei die Zeiten, als man einem halbseidenen Honorarkonsul sechsstellige Beträge überweisen musste, um sich dann „Zweiter Earl von Hinter-Unter-Gondwana-Land“ nennen zu dürfen.
Lords und Ladies werden heute schneller und vor allem billiger „gemacht“. Allerdings beruht der vermeintliche Titel in erster Linie meist auf einer sprachlichen Schlaumeierei. Denn der „Lord“ bezieht sich in diesen „schnell gebleichten“ Fällen nicht auf den Adelstitel, sondern auf die englische Übersetzung aus dem irisch- oder schottisch-gälischen Sprachgebrauch: Wer nämlich in Schottland ein Stück Land besitzt, ist ein Laird – ein Landbesitzer oder eben in der englischen Übersetzung ein Lord. Dasselbe gilt für Irland, wo der Landbesitzer „Tirana“ heisst und im Englischen ebenfalls zum Lord mutiert.
Das Zauberwort heisst „joint ownership“
Im angelsächsischen Recht gibt es eine einfache Möglichkeit, um ohne grossen Papierkrieg zu Land zu kommen: das Miteigentum oder Englisch die joint ownership. Ein Eigentümer kann mittels eines einfachen Vertrages weitere Personen an seinem Land teilhaben lassen. Sie sind dann Mitbesitzer, allerdings ohne Nutzen und Schaden. Das heisst, ein Mitbesitzer kann „sein“ Land weder bebauen, noch verkaufen oder vererben. Dafür kann auch der Fiskus nicht darauf zugreifen.
Seinen Ursprung hat diese Sonderheit in der mittelalterlichen Organisation der Clans. Das Land eines Clans gehörte in der Regel dem Clan-Oberhaupt. Bis auf wenige freie Landbesitzer waren die meisten Bewohner auf dem Land der Clan-Bosse geduldet um dieses zu bebauen und dem Clan dafür Abgaben zu entrichten. Um bestimmte Privilegien, welche nur den Landbesitzern vorbehalten waren – etwa das Tragen von Jagdwaffen – für andere Clanmitglieder zu ermöglichen, führten findige Clan-Lords die joint ownership ein. Sie machten ihre Gefolgsleute zu Mitbesitzern, indem sie ihnen ein kleines Stücken Land verkauften. Die Mitbesitzer galten dann auch als Laird oder Tirana und durften diesen Titel zusammen mit dem Wappen des Clan-Lords verwenden, dessen Farben sie ja ohnehin schon im Kilt trugen.
Eine Schnapsidee...
Die joint ownership als moderne „Titelschmiede“ wieder zu entdecken, war eine echte Schnapsidee. Der findige Manager einer kleinen aber feinen schottischen Whisky-Distillerie stiess bei der Suche nach einem Werbegag für sein Gebräu auf die joint ownership. Als kluger Kopf bastelte er etwas an der Idee herum und wandelte sie ein wenig ab. Er verwandelte den Mitbesitz in ein Land-Leasing. Freunde seiner Marke konnten sich als land owner (in joint ownership) eintragen lassen und erhielten einen square foot des genau aufgeteilten und kartographierten Distilleriegeländes. Jeder land owner kann „sein“ Stück Distillierie an Hand des detaillierten Claim-Planes einwandfrei finden. Der jährliche Leasingzins besteht in einem drum (einem Glas) Whisky. Er kann allerdings nur einmal im Jahr und nur direkt in der Distillierie eingezogen werden.
Findige Nachahmer für einen guten Zweck
Die Aktion war ein Riesenerfolg und hat nicht nur in Schottland für Aufsehen gesorgt. Da den Schotten ja schon immer nachgesagt wurde, sie hätten ein Näschen fürs Geld, fanden sich bald Nachahmer. Und so haben namhafte Landbesitzer Teile ihres Besitzes in Claims aufgeteilt und in joint ownership verkauft. Oft steckt allerdings nicht Geldgier, sondern ein guter Zweck hinter der Geschichte: Mit dem Erlös werden Naturschutzprojekte realisiert oder dringende infrastrukturelle Investitionen getätigt, welche sonst kaum finanzierbar wären. Dem Käufer winkt neben dem Gag des Landbesitzes noch ein Titel als Laird oder Tirana – ein Lord eben!
Juristisches
Was gilt es nun aber als frisch gebackener Lord oder eben eingekaufte Lady an juristischen Spitzfindigkeiten zu beachten, damit der Titel nicht zum Ärgernis wird? Eigentlich recht wenig, wobei man je nach Weltgegend, in der man sich herum treibt, mehr oder weniger dick auftragen darf.
In Ordnung ist der „Lord“ allemal, wenn er ausschliesslich als Übersetzung des schottischen oder irischen Originaltitels gebraucht wird. Über „Mister Max Musterbach, Laird of Scapa (Lord of Scapa)“ werden selbst eingefleischt royalistische Engländer höchstens schmunzeln. Trägt derselbe Herr aber den Schriftzug „Lord Max Musterbach“ auf der Visitenkarte, könnte dies sehr wohl wegen Hochstapelei zu einer Innenbesichtigung eines britischen Knasts führen.
Adlige Hoheiten sind kein rein britisches Phänomen
Ähnliches gilt auch für andere Länder. Es ist generell zu beachten, dass Länder mit aktiven Monarchien oder monarchischer Vergangenheit und Tradition hier meistens hellhöriger sind, als die guten alten Demokratien. Allerdings haben viele heutige Demokratien eben monarchistische Traditionen. Ist bei aktuellen Monarchien wie England, Schottland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg und Spanien noch klar, dass Vorsicht geboten ist, vergisst man sich andernorts leichter. Aber auch Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal und Griechenland haben ihre Könige und Kaiser noch nicht allzu lange durch Kanzler und Staatspräsidenten ersetzt. In fast allen diesen Ländern finden sich denn auch juristische Spuren zum Gebrauch von Adelstiteln, sei es durch Gesetze und Gesetzesartikel oder durch höchstrichterliche Urteile. Kritisch ist der Gebrauch eines solchen Titels in kommunistischen Ländern, da sehr verpönt. Für China, Nordkorea oder Vietnam also nicht zu empfehlen. In Russland und Bulgarien sind im Moment politische Bestrebungen im Gang, den enteigneten Adligen zwar nicht die materiellen Güter, aber wenigstens die Titel wieder zurück zu geben.
Vorsicht geboten ist auch in Asien und der Golf-Region: Japan, Thailand und Nepal, um nur einige zu nennen, haben sehr dominante und präsente Königshäuser. Ganz zu schweigen von den Fürstentümern am arabischen Golf. Und aufgepasst: Auch Länder wie Australien, Neuseeland, Südafrika und Kanada gehören noch immer in den Dunstkreis der britischen Monarchie...
Fazit
So lange der Verkäufer nachweisen kann, dass die verkauften Claims tatsächlich existieren, ist er auf der sicheren Seite und kann sich nicht vorwerfen lassen, er betreibe einen reinen Titelhandel. So lange der Käufer eines Titels nicht zu dick aufträgt und seinen Lord nur als Übersetzung des originalen Laird oder Tirana benutzt, ist auch er auf der sicheren Seite. Man sollte das neue Prunkstück des eigenen Persönlichkeits-Tunings also mit Köpfchen und massvoll einsetzen. Denn es gilt immer noch die alte Weisheit: „Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter!“ |